Wenn es zum Projekt des modernen Romans gehört, die Frage der Sinnhaftigkeit der Welt zu verhandeln, so konstituiert sich dieses Unterfangen im Wechsel mit der Erfahrung einer zunehmenden Kontingenz des Lebens in der Moderne. Diese Dialektik von Sinn und Kontingenz spiegelt sich in einer weiteren, nämlich formalen Dialektik des Romans: seiner Unform. Die Unform des Romans bestreitet nicht die Möglichkeit von Form überhaupt, sondern verweist auf einen produktiven Formsinn, der sich ohne Rückgriff auf eine vorgegebene Gattungspoetik an jedem Gegenstand auf immer wieder neue und eigene Art konstituieren muss. Seit 2012 verfolgen wir diesen Zusammenhang in einer Reihe von Workshops.
Tom McCarthy: Satin Island (2015)
Als Anthropologe in einer Beratungsfirma ist U. mit dem Verfassen eines „Great Report“ über die Gegenwart betraut. Aber welche Textform erweist sich als elastisch genug für deren radikale Kontingenz? „A treatise. An essay. A report. A manifesto. A confession. A novel.“ – Bereits auf seinem Cover stellt Tom McCarthys Satin Island (2015) explizit die Frage nach dem formalen Vermögen des Romans. Mehr…
Unform. Epistemologien des Romans
Der Roman fügt sich keiner Gattungssystematik, sondern lässt sich, aus dieser Perspektive betrachtet, nur als Unform (Lugowski) verstehen. Ist dieser Gedanke zum ersten Mal entworfen in den spekulativen Gattungspoetiken der deutschen Romantik, spricht schon die erste Geschichte des Romans aus dem Jahr 1670 von ihm als „Poema ohne Metro“ und als ein „verwirrtes Misch-Masch ohne Ordnung und Annehmlichkeit“ (Huet). Die ontologischen, epistemologischen und ästhetischen Probleme des Romans lassen sich nicht durch den Rückgriff auf Gattungskonventionen beschreiben: sie sind als Probleme der Form zu behandeln. Mehr…
Alexander Kluge: Das fünfte Buch (2013)
Seit der Wiederveröffentlichung früherer Texte in der Chronik der Gefühle (2000) ist Alexander Kluge nicht nur in die literarische Öffentlichkeit zurückgekehrt. Seine publizistische Präsenz hat ein neues, intensives literatur- und medienwissenschaftliches Interesse an Kluges Arbeit hervorgerufen, deren ästhetischer Mikrokosmis im Workshop anhand von Kluges jüngster Publikation, Das fünfte Buch (2012), erschlossen werden soll. Mehr…
Johann Wolfgang Goethe: Die Wahlverwandtschaften (1809)
Seit gut 200 Jahren verlieren Johann Wolfgang Goethes Wahlverwandtschaften (1809) nichts an ihrer Strahlkraft. Die wie in „Strudeln kreisend versinkende“ Romanwelt, wie Walter Benjamin Goethes „besten Roman“ treffend beschrieben hat, gilt als der meistinterpretierte Text der deutschen Literaturgeschichte und bildet den Gegenstand unseres ersten Workshops. Mehr…